Ron Ulrich

Redakteur & Reporter

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Interview

„Wir haben einen krassen Einfluss auf das Leben der Leute“

Kein Spieler wie jeder andere: Neven Subotic baut Brunnen in Äthiopien, feierte Autopartys in Deutschland und verkaufte all seine Luxusgüter. Wir trafen ihn in Frankreich zum langen Interview.

Subotic in Saint-Etienne. Foto: Romain

Neven Subotic, Sie leben seit drei Monaten in Frankreich. Was sind die größten Unterschiede zum Alltag in Deutschland?
Die Menschen stehen hier gefühlt zehn Zentimeter näher zu dir. Was ich damit meine: Man geht vertrauter miteinander um. Auf der Geschäftsstelle begrüßen wir jeden Mitarbeiter persönlich, die Frauen mit Küsschen links und rechts. Das kann schon mal sehr lange dauern, bis man durch alle Räume gelaufen ist. Auch am Trainingsgelände begrüßt du jeden gleich, egal ob es ein Junge aus der C-Jugend ist oder der Präsident. Du gehst an keinem vorbei, diese Nähe gefällt mir.

Wie unterscheidet sich der Fußball in Frankreich?
Als Verteidiger hast du es hier mit echten Schränken zu tun, da musst du im Zweikampf den ganzen Körper reinlegen. Die meisten Mannschaften haben sehr physische Stürmer – und dann sind manche noch schnell. Das Spiel ist hier viel vertikaler als in Deutschland. Auch wir spielen immer direkt nach vorne aufs Tor. Dadurch sind die Ballphasen, also die Dauer des Ballbesitzes, viel kürzer. Du verlierst den Ball schneller, gewinnst ihn aber auch umgehend zurück. Ich glaube, dass deswegen Ousmane Dembélé auch in der Bundesliga derart eingeschlagen ist.

Was meinen Sie damit?
Hier kriegen die Außenspieler eingebläut, ins Eins-gegeneins zu gehen. Wenn sie es nicht schaffen, okay, dann halt beim nächsten Mal. Dembélé hat es übernommen und in der Bundesliga zwei, drei Leute ausgedribbelt. Das ist eigentlich ungewöhnlich, weil in Deutschland die ganze Mannschaft schnell hinter den Ball kommt.

Mit Ihnen kletterte Saint-Etienne von Platz 16 auf neun. Es wirkt so, als würden Sie schon jahrelang hier spielen.
Ich fühle mich wohl, weil mir der Trainer Jean-Luis Gasset vertraut. Er erinnert mich an Jürgen Klopp, weil er mit mir Tacheles redet. Ich mag keine Typen, bei denen ich zwischen den Zeilen lesen oder auf die Untertöne achten muss. Schon das erste Gespräch verlief super, er erklärte mir, dass er Fußball spielen lassen will. Dabei waren wir mitten im Abstiegskampf. Das imponierte mir. Außerdem sagte er: „Ich habe dich im Trainingslager des BVB beobachtet. Du hast super trainiert.“ Darauf ich: „Ja, fand ich auch.“ (Lacht

Stimmt es, dass Sie vor dem Wechsel bei den Spielern von Saint-Etienne durchgeklingelt haben?
Ja. Zunächst habe ich natürlich mit Auba (Pierre-Emerick Aubameyang, Ex-Spieler von Saint-Etienne, die Red.) gesprochen, dann bei Loic Perrin angerufen. Wir haben uns auf Englisch unterhalten. Er ist eine Legende bei ASSE, spielt schon 17 Jahre hier. Ich mache das immer so, dass ich nach dem Gespräch mit dem Trainer auch einen Spieler anrufe und die Meinungen abgleiche. Wir Spieler haben untereinander so ein Vertrauensverhältnis, dass keiner dem anderen das Blaue vom Himmel erzählt. Ich habe schon oft erlebt, dass der Trainer X sagt und der Spieler Y. Loic aber sprach haargenau so vom Fußball wie zuvor der Trainer. Da wusste ich: Es passt.

Und haben deswegen auf die Premier League oder sogar eine Zusammenarbeit mit Ihrem Förderer Jürgen Klopp verzichtet?
Dazu hätte ich wohl im Vorfeld einige Spiele mehr machen müssen. Ich hatte natürlich einige Angebote, aber im Gesamtpaket war Saint-Etienne die beste Wahl. Sie standen zwar zu diesem Zeitpunkt weit unten, haben aber in den letzten Jahren immer um die europäischen Plätze gespielt. Der Klub hat einegroße Tradition und eine beeindruckende Fankultur. Mit Yann M’Vila und Mathieu Debuchy kamen im Winter zwei weitere gute Jungs dazu, so dass nicht alles auf mir lastete. Mir war auch wichtig, dass ich direkt spielen konnte. Das hat mir der Trainer zugesichert.

Trotzdem muss es Ihnen schwergefallen sein, den BVB nach neun Jahren zu verlassen.
Sportlich war es die richtige Entscheidung. Sehen Sie, als ich im Sommer 2017 zurück zum BVB gekommen bin, stand ich nicht mal auf der Kaderliste. Mein Vertrag lief aus, was meine Karten noch einmal verschlechterte. Ich ging also zu Trainer Peter Bosz und fragte, ob ich überhaupt eine Chance habe. Er meinte: „Es ist nicht unmöglich.“ Was für mich hieß: „Es ist verdammt noch mal möglich.“ Ich habe mich drei Monate reingehängt wie ein Bekloppter, im Training alles gegeben und mich dann von Innenverteidiger Nummer sieben bis in die Startelf gearbeitet. Ich spielte in der Champions League bei Real Madrid von Anfang an! Und dann flog Bosz raus, und alles ging von vorne los.

Sie hatten mit dem Nachfolger Peter Stöger schon Anfang 2017 in Köln zusammengearbeitet. War das ein Vor- oder Nachteil?
Wir hatten einen neuen Trainer, Punkt. Ich musste mich wieder in die Elf arbeiten, aber dem Kampf hätte ich mich gestellt. Das Training verlief wieder gut, doch beim ersten Spiel im Januar stand ich wieder nicht einmal im Kader. Da war klar: Ich kann nicht noch einmal drei Monate schuften, dann ist mein Vertrag zu Ende.

Stöger hat in Köln auch mitentschieden, dass Ihre Ausleihe nicht verlängert wurde. Wären Sie nicht gerne beim FC geblieben?
Die Entscheidung war am Ende ziemlich einvernehmlich. Köln wollte auf einen jüngeren Spieler in der Defensive bauen, und ich habe mich auch gefreut, wieder in Dortmund gefordert zu sein. Ganz ehrlich, ich habe auch selten von einer Ausleihe gehört, die so cool verlaufen ist. Ich habe meine Spiele bekommen und etwas absolut Legendäres von innen miterlebt.

Sie meinen den erstmaligen Einzug des FC in den internationalen Wettbewerb nach 25 Jahren?

Es war der Hammer. Am Abend, als wir es gepackt hatten, sollte eine Feier aller Mitarbeiter und Spieler stattfinden. Ich habe mich nach unserem Spiel ins Auto gesetzt und zu den zwei jungen Spielern Birk Risa und Nikolas Nartey gesagt: »Steigt ein. Ich möchte euch etwas zeigen.« Wir fuhren zunächst die Aachener Straße lang, die direkt vom Stadion zur Stadtmitte führt. Danach hatte ich mir eine szenische Route ausgedacht, vorbei an all den Kneipen und Bars. Überall standen die Fans und rasteten komplett aus. Die Jungs sind aufs Dach gestiegen. Sie sind noch jung, haben noch nicht so viele Spiele gemacht. Aber ich wollte ihnen etwas zeigen: Das ist der Fußball, wir stehen nicht nur für drei Punkte oder unsere Karriere auf dem Platz. In solchen Momenten siehst du, was für einen krassen Einfluss der Verein und damit unsere Spiele haben. Sie haben einen Effekt auf das Leben der Leute.

Das klingt wie Ihre Spontanparty 2011 im Dortmunder Kreuzviertel.

Genauso war es, nur war ich diesmal obenrum bekleidet. (Lacht.) Das ist unvergesslich. Noch heute kommen Leute zu mir und sagen: Ja, Lindemannstraße, da war ich damals auch dabei. Direkt nach dem entscheidenden Spiel hatten wir im Pool der Kabine die Meisterschaft gefeiert. Dann kam die offizielle Ansage: Okay, in zwei Stunden ist Abendessen. Bis auf Kehli (Sebastian Kehl, die Red.) waren gerade alle zum ersten Mal Meister geworden. Wir waren total aufgeregt und erwarteten etwas Besonderes. Und dann sollen wir ruhig zum Drei-Gänge-Menü und brav essen? Nein, das war alles andere als das, was ich mit diesem Moment verbinden wollte. So eine Feier muss inklusiv sein, nicht exklusiv. Wenn nur die Spieler fein zusammensitzen, dann ist das nicht das, wofür der BVB steht. Ich stürzte mich vor dem Essen mit meinen Freunden mitten ins Getümmel der Stadt. Egal wann und wo, ich vertraue den Fans. Was glauben Sie, was passiert, wenn ich in Dortmund mein Portemonnaie aus dem Fenster werfen würde?

Was glauben Sie?

Ein BVB-Fan würde kommen und es zurückbringen, ganz egal, wie viel Geld darin gewesen wäre. Vertrauen fördert Vertrauen. Die Fans sind nicht abseits, sondern immer ein wichtiger Teil des Vereins. Das Feiern im Kreuzviertel ist für mich der mit Abstand schönste Moment meiner BVB-Zeit, das muss ich ganz ehrlich sagen. Es ist so authentisch. Da gab es keine Dreiklassengesellschaft, kein »Den oder die mag ich nicht«, nein: gemeinsam feiern und singen, alles auf Augenhöhe, alles aus dem Moment heraus, spontan. Wie tief mich das bewegt hat, wurde mir erstmals bei einem Video im Krankenhaus bewusst.

Im Krankenhaus?

Wir spielten in der folgenden Sommervorbereitung mit dem BVB in Mainz, und ich verletzte mich am Kopf so schwer, dass ich nicht mehr ganz bei Bewusstsein war. Ein privater Freund begleitete mich ins Krankenhaus, als ich langsam wieder zu mir kam, aber noch voll benebelt war. Er machte ein Video und fragte mich darin: »Neven, siehst du, was du anhast?« Und ich: »Ein Trikot vom BVB? Was? Ich spiele beim BVB?!« »Ja, und du bist auch Meister geworden.« »Ich bin Meister mit dem BVB geworden? Krass.« Dann vergaß ich wieder alles und es ging von vorne los. Ich wirke auf dem Video, als wäre ich als kleiner Junge in meinem Traum gelandet.

Sie haben allerdings auch schlechte Tage beim BVB erlebt, als Sie aussortiert und vom Teamfoto gestrichen wurden. Damals sagten Sie uns, dass ein riesiger Unterschied zwischen dem Mitgliederwillen beim e.V. und den Entscheidungen der KgaA bestehe.

Das ist der Lauf der Dinge im Fußball. Er entwickelt sich auf zwei Ebenen: einmal rein sportlich mit dem Verein und seiner Gemeinschaft, auf der anderen Seite finanziell. Das ist nicht immer eine Symbiose. Ein Beispiel: Wenn der Spieltag jetzt durch Montagsspiele auf sechs verschiedene Anstoßzeiten gesplittet wird, dann geht es dabei um Fernsehgelder. Diese Entwicklung kann man kritisch sehen, weil sie auf lange Sicht schädlich für den Sport ist. Wenn man nur den finanziellen Weg verfolgt, fallen irgendwann die Emotionen weg. Eine Million mehr oder weniger macht den Spieler nicht besser oder schneller, die Emotionen drum herum aber sehr wohl.

Spüren Sie eine Entfremdung zwischen Fans und dem aktuellen Fußball?

Ja, viele meiner Freunden haben ihre Dauerkarte abgegeben, obwohl ihre Familien seit Generationen ins Stadion gegangen sind. Doch sie sagen: »Das ist nicht mehr mein Fußball.«

Manche Fans können die Summen bei Gehältern und Ablösesummen nicht mehr verstehen. Ihr Gegner aus Paris hat 222 Millionen Euro für einen Spieler bezahlt. Deren »Sponsor« rühmt sich damit, die besten Spieler ins Land zu holen.

Womit er auch recht hat. Nur gibt es eigentlich dafür Regularien vom Fußballverband, die aber anscheinend nicht greifen. Ich kann nur hoffen, dass der Fußball in diesem Sinne wieder in die Spur zur Normalität findet.

Sie haben 2011 ihre Luxusgüter verkauft. Wie kam es dazu?

Ich besaß ein Jahr lang vier Autos. Als Deutscher Meister dreht man wohl durch, ich war dumm. Das teuerste Auto kostete 75 000 Euro, außerdem hatte ich eines für 28 000, dann einen Mini für 17 000, und das vierte war geleast. Ich wohnte damals mit Kumpels aus meiner Kindheit in Deutschland und meiner Jugend in den USA zusammen in einem großen Haus. Es hieß immer: Der Junge braucht noch einen Wagen zum Einkaufen, der nächste einen für etwas anderes.

Gab es einen bestimmten Moment, der Sie zu dem Schritt bewogen hat?

Nein, das war eher ein längerer Prozess, ich orientierte mich nicht mehr nach außen, sondern nach innen, zu mir selbst. Die Autos standen einfach rum, ohne Wert für mich, ich wollte sie loswerden. Parallel dazu hat sich die WG aufgelöst, ich bin in eine kleine Wohnung in der Stadt gezogen. Ich sah für mich ein, dass ich kein großes Haus brauche, 60 Quadratmeter reichen mir völlig. Außerdem ist man in der Stadt viel näher am Leben der Menschen. Nach meinem Umzug gründete ich die Stiftung.

Sie entschieden sich dafür, mit Ihrer Stiftung in Afrika zu helfen. Warum?

Natürlich gibt es auch hier Menschen mit Problemen. Doch ich finde es schwierig, wenn ich mich nur für Kinder im Umkreis von 50 Kilometern einsetze. Im Endeffekt würde das Engagement nur in den reichen Ländern bleiben. Wir als Europäer haben 500 Jahre lang Afrika ausgeschöpft, warum sollten wir es dann in diesem Punkt weiter vernachlässigen? Unserer Stiftung geht es aber nicht um Kontinente oder Länder, wir wollen in die ärmsten Regionen der Welt.

Wie wählen Sie diese Orte aus?

Es gibt von der Unicef und der Weltbank Daten darüber, in welchen Ländern den Menschen durchschnittlich weniger als 1,25 Dollar pro Tag bleibt. Das ist ja das Schlimme: Wir wissen alle seit Jahrzehnten, dass es diese Probleme gibt, dass die Menschen nicht genug zum Überleben haben. 660 Millionen Menschen fehlt der Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die Bevölkerung in der westlichen Welt macht sich aber nur Gedanken darüber, was gerade in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert.

Woran machen Sie das fest?

Ich höre sehr oft, dass es nie so eine friedliche Zeit wie im Augenblick gegeben habe. Das wird gemessen an den kriegsbedingten Toten pro Jahr. Man darf aber nicht vergessen: Tagtäglich sterben 2000 Kinder an vermeidbaren Krankheiten – das ist wie ein weltweiter Krieg. Und die Gründe dafür sind klar: Wenn es in einer Region kein sauberes Trinkwasser gibt und keine vernünftigen Sanitäranlagen, dann können sich gefährliche Bakterien viel schneller ausbreiten. Kinder und Säuglinge sind besonders gefährdet, weil ihr Immunsystem noch nicht so ausgeprägt ist. Das ist alles bekannt, trotzdem werden die Missstände oft ignoriert, weil es hierzulande erst mal niemanden direkt betrifft. Es gibt so viele Kriege, über die nicht berichtet wird. Ich lese momentan kaum noch Zeitungen.

Ihre Kritik klingt relativ pauschal. Was missfällt Ihnen konkret?

Der Nachrichteninhalt interessiert nicht mehr, sondern nur noch Emotionen, nur noch der Schock. Durch die Algorithmen der sozialen Medien wird nur noch das Extreme gepusht, siehe den Datenskandal bei Cambridge Analytica. So beharrt jeder auf seinem Standpunkt, es gibt keine Diskussion mehr, sondern nur noch Brüllerei. Mitunter ist die Sprache in den Medien schon gefährlich gefärbt. Heute ist die Rede von »Cluster bombs« und »Kollateralschaden«, aus einem »Bürgerkrieg« wird ein »Proxy-Krieg« – welch zynische Begriffe! Und: Das große Problem unserer Zeit wird fast nie thematisiert, die globale Ungleichheit. Ich denke, dass sie so lange weiterbesteht, wie der Kapitalismus vorherrscht.

Auch im Sozialismus leiden die Leute unter Armut, zum Beispiel auf Kuba.

Das muss man in einem Kontext sehen, Kuba wurde links und rechts total abgeschottet durch das Wirtschaftsembargo. Trotzdem ist die Lebenserwartung in Kuba ein Jahr höher als in den USA. Richtig freien Sozialismus kann es ja gar nicht geben – und ich sehe auch die Schwächen des Systems. Aber im Osten zur Zeit des Kalten Krieges hatte immerhin jeder Mensch noch genug, um nicht betteln gehen zu müssen. In Dortmund hingegen sind heute sehr viele Leute von Altersarmut betroffen, die ein Leben lang gearbeitet haben. Es muss darum gehen, ein zeitgemäßes System zu entwickeln.

Was würde das bedeuten?

Wenn jeder so viel zahlt, wie er kann, dann dient das letztlich allen. Die Gerechtigkeit wird gestärkt, so etwas schafft erst Vertrauen.

Übersetzt hieße das, Sie fordern eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes?

Der Spitzensteuersatz ist ein Punkt, aber auch die Kapitalertragssteuer, die Finanztransaktionssteuer oder die Erbschaftssteuer – kurzum all die Bereiche, von denen nur Reiche profitieren. Die skandinavischen Länder verlangen mehr Steuern, als hier in Deutschland überhaupt vorstellbar erscheint. Aber Studien zeigen im Gegenzug, dass die Menschen in diesen Ländern viel mehr Vertrauen zueinander haben. Doch das ist nicht mal der wichtigste Punkt.

Sondern?

Die Bildung. Kinder von reichen Eltern haben viel mehr Aufstiegsmöglichkeiten und das nicht, weil sie klüger sind als die anderen. Bei sozial schwächeren Familien wird den Kindern der Weg verbaut. In Deutschland manifestiert sich so eine Dreiklassengesellschaft. Leider hat eine Partei wie die AfD dies für sich genutzt, weil die bestehenden Parteien den Leuten keine Perspektive für einen Wandel bieten. Die SPD zum Beispiel als klassische Arbeiterpartei hat sich schon lange von ihren Kernwerten entfernt.

Lassen Sie uns noch einmal zurück zu Ihrer Stiftung kommen. Sie bauen Brunnen im Norden Äthiopiens und reisen auch ein Mal pro Jahr dort hin. Wie genau helfen Sie dort?

Unsere Aufgaben vor Ort sind zweiteilig: Zum einen geht es darum zu prüfen, wie weit die Arbeiten sind. Wir haben schließlich eine Verantwortung gegenüber unseren Spendern. Wir nutzen die aktuellsten Technologien. In den Gemeinden selbst kann es sehr lange dauern, bis ein Problem übermittelt wird. Die Menschen dort können nicht einfach ins Internet gehen oder zum Telefon greifen. Wir haben deswegen SIM-Karten in den Pumpen der Brunnen angebracht, die uns die Raten des gepumpten Wassers mitteilen. Wir sehen also direkt, wenn ein Problem auftritt. Das Wasser hatte früher die Farbe von Apfelsaft, weil es so verunreinigt war. Nun ist es sauber.

Und der zweite Teil?

Dabei geht es um den menschlichen Aspekt, also vor Ort zu sein und die Gemeinde kennenzulernen. Die Entwicklungsarbeit lief früher anders. Da wurde etwas hingesetzt und die Leute vor Ort wussten meist nichts damit anzufangen. Wir wollen die Gemeinde darauf vorbereiten, irgendwann selbst das Projekt tragen zu können. Ein Beispiel ist: Es gibt dort das »Wash Training«, also eine Hygiene-Übung, die Kindern zeigt, wie sie sich vernünftig waschen. Sie geben das an andere Kinder weiter. Manchmal ist Kindersprache auch besser als jene der Erwachsenen.

Es geht also nicht nur um den Bau von Brunnen?

Im Mittelpunkt stehen die Möglichkeiten für die Kinder. Wenn ein Kind nicht mehr sechs Kilometer laufen muss, um sauberes Wasser zu bekommen, sondern es vor Ort findet, dann kann es in dieser Zeit in die Schule gehen. In einem Ort, in dem wir geholfen haben, kamen innerhalb eines Jahres 40 Prozent mehr Kinder zum Unterricht. Die kleinen Kinder träumen davon, Ärzte oder Lehrer zu werden. Auch wenn sie selbst nicht viel haben, ist ihr Antrieb, anderen zu helfen.

Reden Sie eigentlich mit Ihren Mitspielern über Ihre Projekte oder Politik?

Zum Teil, aber das sind nicht unbedingt Themen für die Kabine. Wir haben meistens auch nicht so viel Zeit. Es geht eher ums Training oder die Spiele. Aber natürlich erzähle ich etwas von der Stiftung, so mancher fragt auch mal nach. Für eine tiefere Auseinandersetzung muss man sich jedoch mehr Zeit nehmen.

Sind Sie mit Mitspielern befreundet?

Ich würde es auf eine parallele Ebene stellen. Mit Roman (Weidenfeller, d. Red), Schmelle (Marcel Schmelzer), Nuri (Sahin) und Piszschu (Lukasz Piszczek) verbindet mich viel, allein durch unsere gemeinsamen Erlebnisse. Ich kann ihnen vertrauen, wenn es brenzlig wird. Das sind eher meine Brüder.

Einerseits sehen Sie, dass Menschen in Afrika kein sauberes Trinkwasser haben. Andererseits bewegen Sie sich in der Fußballbranche unter Millionären. Wie schaffen Sie den Spagat?

Ich bin selten in diesem Highlife unterwegs, ich nehme vom Fußballerleben nur das Sportliche mit. Ich bin Fußballliebhaber, mir geht es um das Spiel, nicht um das Drumherum. Gemeinsam spielen und gewinnen, dann mit den Fans feiern – das will ich.